„Das eröffnet Chancen für eine Programmpartei wie die SPD“ – Interview in der Aachener Zeitung vom 20.01.2021

Nachfolgend finden Sie mein komplettes Interview, das ich Joachim Zinsen von der Aachener Zeitung gegeben habe:

 

Herr Nietan, der neue CDU-Chef heißt Armin Laschet und nicht Friedrich Merz. Sind Sie enttäuscht?

Dietmar Nietan: Überhaupt nicht. Ich kenne Armin Laschet persönlich und halte von ihm deutlich mehr als von Friedrich Merz. Warum sollte ich also enttäuscht sein?

Weil sich mit Merz als CDU-Chef und dann wohl auch als Kanzlerkandidat der Union Ihr politischer Gegner sicherlich deutlich wirtschaftsliberaler und konservativer als bisher aufgestellt hätte. Für die SPD wäre das beim Kampf um Wähler aus der Mitte von Vorteil gewesen.

Nietan: Es wäre der Anfang vom Ende, wenn SPD-Spitzenfunktionäre die Chancen ihre Partei davon abhängig machen würden, wen andere zu ihrem Parteichef küren.

Laschet hat die Grünen zum Hauptgegner im anstehenden Bundestagswahlkampf erklärt. Wurmt Sie das als Sozialdemokrat?

Nietan: Nein, sollte Laschet die Grünen wirklich so sehen, verspricht das einen spannenden Wahlkampf. Ich bin allerdings nicht sicher, ob er seiner Ankündigung auch Taten folgen lässt. Denn kaum jemand steht in der Union so deutlich für Schwarz-Grün wie Laschet.

Laschets Ansage klingt aber auch ein wenig so, als würde er die SPD nicht mehr für voll nehmen.

Nietan: Sollte Laschet die SPD unterschätzen, würde er einen ähnlich schweren Fehler begehen, wie diejenigen in der NRW-SPD, die bei der Landtagswahl 2017 Laschet unterschätzt haben. Ich bin mir sicher: Wir Sozialdemokraten werden beim Ausgang der nächsten Bundestagswahl ein entscheidendes Wort mitreden.

Fakt ist: Die Grünen liegen derzeit in allen Umfragen vor der SPD. Warum profitiert ihre Partei nicht vom Corona-Krisenmanagement der Bundesregierung sondern ausschließlich die Union?

Nietan: Die Bürger schreiben den unaufgeregten Umgang mit der Krise der Kanzlerin zu, und die ist halt in der CDU. Aber im Laufe der nächsten Wochen und Monate wird immer mehr Menschen dämmern, dass Angela Merkel im Oktober von der politischen Bühne abtritt. Dann werden sie genauer hinschauen und sehen, wer in der aktuellen Bundesregierung neben Merkel für Sachlichkeit steht und der Zukunft zugewandt ist. Sie werden erkennen, welche entscheidende Rolle Olaf Scholz bereits jetzt spielt. Ohne ihn hätte es die Milliardenhilfen für Arbeitnehmer und Selbstständige nicht gegeben. Der Wirtschaftsflügel der Union hätte Dinge, wie die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes oder die Grundrente gerne verhindert.

Mit dem Abgang von Merkel wird für die SPD alles besser?

Nietan: Mit dem wachsenden Bewusstsein „Merkel ist weg“ wird für die SPD nicht automatisch der Rote Teppich im Kanzleramt ausgelegt. Wer so denkt, hat jeden Realitätssinn verloren. Aber bei dieser Bundestagswahl werden endlich wieder die Parteien und ihre inhaltlichen Angebote für eine bessere Gesellschaft und eine gute Zukunft in den Fokus rücken. Merkels asymmetrische Demobilisierungsstrategie nach dem Motto „Sie kennen mich…“ wird nicht mehr funktionieren. Das eröffnet Chancen für eine „Programmpartei“ wie die SPD. Und die müssen wir diesmal endlich mit einem guten inhaltlichen und personellen Angebot beherzt ergreifen.

Olaf Scholz hat als Kanzlerkandidat Ihrer Partei bereits beachtliche Popularitätswerte. Die SPD hingegen dümpelt in Umfragen weiterhin bei mageren 15 bis 16 Prozent herum. Warum gelingt es Scholz nicht, was Merkel gelingt, nämlich die eigenen Beliebtheitswerte auf die Partei zu übertragen?

Nietan: Wir haben als Sozialdemokratie immer stark auf unsere gute Rolle in der Regierung verwiesen. Stichworte: Novemberhilfen, Kurzarbeitergeld, Grundrente und viele andere Dinge. Aber das wird im Bundestagswahljahr nicht das Entscheidende sein.

Sondern?

Nietan: Entscheidend ist: Wer hat die richtigen Ideen für eine gute Zukunft Deutschlands und Europas. Bisher konnte unsere Partei ihr Profil noch nicht so weit schärfen, um wieder mehr Menschen von der SPD zu überzeugen. Aber daran arbeiten wir gerade intensiv. Im Frühjahr werden wir unser Wahlkampfprogramm und Wege für ein besseres Deutschland nach der Corona-Pandemie präsentieren.

In den vergangenen Jahren hat die sozialdemokratische Spitze die schlechten Wahlergebnisse der SPD gerne mit den ständigen Grabenkämpfe innerhalb der Partei erklärt. Inzwischen treten die Sozialdemokraten wieder deutlich geschlossener auf. Trotzdem ist der Erfolg überschaubar.

Nietan: Auf Bundesebene sind wir inzwischen geschlossener denn je. Es gibt eine gute Zusammenarbeit zwischen dem Kanzlerkandidaten, dem Fraktionschef und den beiden Parteivorsitzenden. Das unterscheidet sich deutlich von der Art, wie in der Vergangenheit Teile der Partei mit unseren damaligen Vorsitzenden Andrea Nahles oder Martin Schulz umgegangen sind. Aber einmal beim Wähler verspieltes Vertrauen lässt sich nur langsam und mühsam zurückholen. Dazu reichen wenige Monate nicht.

In der SPD ist inzwischen wieder häufiger von einem möglichen Bündnis mit Grünen und FDP nach der kommenden Bundestagswahl die Rede. Ist Rot-Grün-Rot passé?

Nietan: Wer mehr soziale Gerechtigkeit will, wer die Ursachen des Klimawandels konsequent bekämpfen will, wer eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung will, wer eine EU haben will, die Menschen nicht im Mittelmeer ertrinken lässt, der muss auf Rot-Rot-Grün setzen.

Das klingt, als käme jetzt ein „aber“.

Nietan: Ich habe als Parteilinker immer dafür gekämpft, dass die rot-rot-grüne Option auf dem Tisch bleibt. Aber in der Corona-Krise würde ein zugespitzter, polarisierender, mit Feindbildern arbeitender Lagerwahlkampf nur die extremen politischen Ränder stärken. Deshalb sollten wir keinen Koalitionswahlkampf führen, sondern uns darauf konzentrieren, deutlich zu machen, wofür die SPD steht.