Dass wir in der SPD eine lebendige, innerparteiliche Demokratie pflegen, hat nicht zuletzt das Mitgliedervotum über unser Eintreten in die Große Koalition bewiesen. Ist es nicht erstrebenswert, auch weitere wichtige Entscheidungen basisdemokratisch zu treffen? Eine der reizvollsten Ideen ist zweifelllos die Urwahl des oder der Parteivorsitzenden. Deshalb haben wir auf unseren letzten ordentlichen Bundesparteitag im Dezember 2017 einen Beschluss zur Parteierneuerung gefasst, der ausdrücklich auch eine Beschäftigung mit dieser Frage vorsieht.
Ich bin offen für diese Diskussion. Ein/e direkt gewählte/r Parteivorsitzende/r wäre eine deutliche Bejahung der Tatsache, dass selbstverständlich weder Parteivorstand noch Ministerien, sondern unsere Basis die tragende Säule der SPD ist. Und viele argumentieren, dass es dann keine Vorentscheidungen in einem kleinen Kreis geben könnte, die für das einzelne Mitglied nicht transparent sind. Das alles klingt zunächst einmal gut. Aber trotzdem kommen mir dabei auch drei große Fragezeichen in den Sinn.
Wird der oder die Parteivorsitzende zu mächtig?
Bis jetzt ist die oder der Parteivorsitzende primus inter pares. Und das ist auch gut so. Eine Urwahl würde ihr oder ihm das Maximum an Repräsentanz verleihen, birgt aber auch das Risiko eines inneren Ungleichgewichtes. Könnte sie/er als „primus sine pares“ dann durchregieren, mit Berufung auf den Willen der Basis? Denn der Rest des Vorstandes hätte ja viel weniger innerparteiliche Legitimität. Oder wir müssten auch Generalsekretär/in, Schatzmeister/in und am besten den ganzen Vorstand per Urwahl bestimmen. Das ist allerdings kaum praktikabel.
Gibt es gleiche Ausgangsbedingungen für alle?
Um für sich an der Basis zu werben, bräuchten die Kandidat/innen einer Urwahl natürlich personelle Ressourcen und finanzielle Mittel. Wie könnte sichergestellt werden, dass hier gleiche Startbedingungen herrschen? Das Szenario amerikanischer Vorwahlkämpfe, bei denen Millionen im Rücken für die Werbekampagne durchaus hilfreich sind, finde ich für uns eher beängstigend.
Brauchen wir noch Delegierte und Parteitage?
Oder um anders zu fragen: wie undemokratisch sind eigentlich 600 von der Basis (bei uns in NRW von den Unterbezirken) gewählte Delegierte? Es ist ja nicht so, dass bei der SPD keine Gegenstimmen erlaubt wären, oder es um Ämter nicht auch Kampfkandidaturen auf einem Parteitag geben könnte. Wie viele Personal- und Sachfragen können wir in teuren Mitgliedervoten klären, ohne dass wir in Gefahr laufen, unsere Parteitage nach und nach zu reinen Inszenierungen ohne maßgebliche Entscheidungen zu degradieren?
Wie gesagt, die Idee der Urwahl hat großen Charme. Aber daraus entsteht, vielleicht erst auf den zweiten Blick, eine ganze Menge an Fragezeichen. Und da die Welt nie schwarz oder weiß ist, müssen wir diese Fragen in einer sachlichen Debatte klären, die nicht von Misstrauen, sondern Zuversicht geprägt sein sollte…