„Mr. Gorbachev, tear down this wall!“

Heute vor 30 Jahren: Die legendäre Rede von US-Präsident Reagan vor dem Brandenburger Tor

Die deutsch-amerikanischen Beziehungen in der Nachkriegszeit hatten und haben bis heute eine globale Dimension, da sie stets im geopolitischen Kontext betrachtet werden müssen. Die bilateralen Beziehungen entwickelten sich relativ spät und wurden unter Schmerzen geboren. Mit der Befreiung Deutschlands von der nationalsozialistischen Herrschaft rückten beide Nationen – obschon der östliche Teil des geteilten Deutschlands davon ausgenommen war – im Laufe der Jahrzehnte enger zusammen. Aus dem amerikanischen Befreier wurde der Verbündete und Freund. Die jüngste Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen zeichnete sich schließlich durch die Formel „partner in leadership“ aus, die Präsident George Bush 1989 prägte.

Beim Rückblick auf die Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen drängen sich insbesondere zwei Besuche amerikanischer Präsidenten in Berlin in den Vordergrund, die im kollektiven Gedächtnis der deutschen Gesellschaft weitestgehend präsent sind: John F. Kennedys Besuch (1963) und Ronald Reagans Besuch (1987). Aus heutiger Perspektive betrachtet spiegeln die Besuche der beiden US-Präsidenten den damaligen Zeitgeist auf prägnante Weise wider.

John F. Kennedys bewegende Rede in Berlin erfolgte kurz nach dem Mauerbau, mitten im Kalten Krieg und untermauerte die amerikanische Solidarität mit der (west)deutschen Bevölkerung. Die Sowjetunion hatte zum damaligen Zeitpunkt große Ambitionen und es bestand die reale Gefahr, dass der kalte Krieg zu einem heißen entgleiste. Präsident Kennedy und der Regierende Bürgermeister Willy Brandt, der während dieser Reise an Kennedys Seite stand, beschworen den Zusammenhalt des Westens. Brandt und Kennedy waren für Millionen von Deutschen wichtige Hoffnungsträger, ihr gemeinsamer Auftritt in Berlin war von immenser Symbolkraft, der die Anwesenheit des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer überstrahlte. Kennedys berühmte Rede war eine Reaktion auf die durchaus akute Bedrohungssituation, die durch den Bau der Berliner Mauer entstanden war.

Als dagegen Ronald Reagan 1987 Berlin besuchte, hatte sich die Lage bereits deutlich zugunsten des Westens gewandelt. Sein Auftritt vor dem Brandenburger Tor, das von der Mauer versperrt war, erfolgte aus der Position einer US Administration, die gerade dabei war, mit ihren Hegemonialbestrebungen eine sich in großen ökonomischen Schwierigkeiten befindliche Sowjetunion zurück zu drängen.

1987 feierte Berlin seinen 750. Geburtstag. Der Besuch Ronald und Nancy Reagans wurde in Westberlin mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Schon damals war die westdeutsche Gesellschaft hinsichtlich ihrer Beziehung zu den USA gespalten. Während ein Teil der Bevölkerung dem offiziellen Auftritt des US-Präsidenten entgegenfieberte, kam es auch zu Protesten von Gegnern der amerikanischen Rüstungspolitik, die in Augen vieler ein zunehmendes Risiko für die Sicherheitslage auf der Welt und insbesondere in Europa darstellte. Reagan war seit seiner Wahl ein umstrittener Präsident, der sehr klar auch auf Aufrüstung als Mittel der Durchsetzung im kalten Krieg baute. Das brachte die Friedensbewegungen in Deutschland gegen ihn auf.

Sein Besuch in Westberlin ging jedoch in die Geschichte ein. Ronald Reagan sprach vor dem Brandenburger Tor, mit dem Rücken zur Mauer stehend. Eine bemerkenswerte Kommunikationssituation wenn man bedenkt, dass seine Rede, die er an die Westberliner Zuschauer richtete, in zweiter (oder vielleicht sogar in erster?) Linie an das sowjetische Imperium adressiert war. Er wollte den Berlinern schmeicheln, würdigte den Wiederaufbau der einst zerstörten Stadt, lobte ihren Freiheitsgeist und den bunten Ku´damm. Wie einst John F. Kennedy versuchte er die Herzen der Berliner zu gewinnen und übte sich in deutscher Phonetik. Sein „Ich hab noch einen Koffer in Berlin“ klang jedoch mehr gewollt als gekonnt, sodass sich heute keiner mehr daran erinnert. Im Gedächtnis geblieben ist jedoch seine direkte Aufforderung an Michail Gorbatschow: „Mr. Gorbachev, tear down this wall! “

1987 war diese Vision Reagans für die meisten noch Utopie. Aus heutiger Sicht, 30 Jahre später steht jedoch fest, dass seine Rede letztendlich Vorbote für den Fall der Berliner Mauer und den Untergang der Sowjetunion war. Ob Reagan damals von seinem Worten auch in dem Maße überzeugt war, wie er sie in sehr großer Entschlossenheit zum Besten gab, muss offen bleiben. Fest steht jedoch, dass er als derjenige US-Präsident in die Geschichte eingehen sollte, der entscheidend zum Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung und dem zwischenzeitlichen Triumph des Westens beigetragen hat. Bemerkenswert ist dabei, wie stark die Erinnerung an Ronald Reagan insbesondere in den ehemals sozialistischen mitteleuropäischen Staaten ist, wo ihm viele Menschen bis heute die Rolle des Bezwingers der Sowjetunion zuschreiben.

Heute, am 30. Jahrestag seiner Berliner Rede, ist die Welt eine ganz andere. Auch die USA haben sich verändert. Ein zutiefst gespaltenes Land wird nunmehr von einem Präsidenten regiert, der in unberechenbarer Weise und ohne Rücksicht auf die Freiheitswerte seiner Nation seinen eigenen Interessen folgt, die das Land in eine gefährliche Isolation und Polarisierung treiben. Ausgerechnet in dem Land, welches lange wie kein anderes die Freiheit verkörperte, übt sich nun dessen Präsident im Bau von Mauern – sowohl realen als auch imaginären.

Ronald Reagan war ohne Abstriche ein konservativer Neoliberaler, aber er wollte Mauern einreißen, weil er voll Begeisterung an eine grenzenlose Freiheit glaubte. Nicht nur im Vergleich mit Donald Trump war er ein wirklicher amerikanischer Patriot. Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, dass auch wir Sozialdemokraten einen differenzierteren Blick auf den 40. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika wagen sollten.