Übersetzung: Interview mit Dietmar Nietan für die Gazeta Wyborcza (Bartosz Wielinski)
Original: http://wyborcza.pl/1,75477,18994349,niemcy-prosza-nas-o-wsparcie.html
Bartosz T. Wieliński: Wird der scharfe Konflikt in Hinsicht auf die Verteilung von Flüchtlingen die Beziehungen zwischen Warschau und Berlin dauerhaft belasten?
Ich bin überzeugt, dass es dazu noch nicht gekommen ist und auch nicht kommen wird. Es ist doch normal, dass einzelne EU-Staaten unterschiedliche Meinungen vertreten. Wir müssen miteinander reden. Die Deutschen müssen verstehen, dass Polen in seiner Vergangenheit nicht die gleiche Erfahrung mit Migranten gesammelt hat wie wir und daher einen anderen Blick auf diese Problematik hat. Die Polen hingegen müssen akzeptieren, dass eine Verteilung der Flüchtlinge in Europa notwendig ist. Es sollte nicht von einem Diktat gesprochen werden, die Verteilung wird gerecht erfolgen und die Lage von Ländern wie Polen wird berücksichtigt. Es darf nicht sein, dass eine Gruppe von Staaten Flüchtlinge kategorisch ablehnt.
Angesichts der jüngsten deutschen Reaktionen fällt es schwer, ein Verständnis für polnische Vorbehalte zu erkennen. Polen und seine Nachbarn sind zu Prügelknaben geworden, man wirft ihnen vor, sie seien undankbar, würden nur EU-Gelder entgegennehmen und im Gegenzug nichts anbieten…
Ich bedauere es sehr, dass derartige Aussagen in der Diskussion gefallen sind. Wir sollten nicht beleidigt sein. Das Flüchtlingsproblem ist in Polen in zweifacher Hinsicht ein schwieriges Thema, denn das Land befindet sich ja im Wahlkampf. Wir sollten einander vertrauen.
Wie soll man einander vertrauen, wenn deutsche Politiker uns Polen damit drohen, Mittel aus dem Strukturfonds zu kürzen, wenn wir nicht nachgeben?
Ich bin gegen solche Formulierungen. Andererseits denke ich, dass wenn sich innerhalb dieses oder nächsten Jahres nichts ändert und weiterhin Flüchtlinge nach Deutschland strömen, die Finanztransfers innerhalb der EU geändert werden müssen. Es kann nämlich nicht sein, dass Länder, die enorme Belastungen auf sich nehmen, alleine gelassen werden. Die EU muss uns finanziell unterstützen. Wenn dann nach Deutschland mehr Geld fließen sollte, so würden andere Länder automatisch weniger erhalten. Es wird sich wohl kein Mitgliedsstaat der EU dafür aussprechen, das Budget der EU zu erhöhen. So werden wir es daher eher mit Arithmetik statt Bestrafung zu tun haben.
Aus diesem Grund bitten wir um Solidarität. Machen wir die Sache nicht unnötig kompliziert, suchen wir nach Kompromissen, damit wir die Lage in Deutschland bewältigen können. Wenn dies nicht gelingt, wird es eine Niederlage für Europa sein, die ihre Existenz bedrohen könnte.
Wenn wir dieses Problem jetzt nicht regeln, dann wird es einen Schatten auf die kommenden EU-Haushaltsverhandlungen und die Diskussion rund um die Verstärkung der NATO-Ostflanke werfen. Solidarität muss in beide Richtungen funktionieren. Ich habe Angst vor solch einem Szenario, in dem meine Landsleute merken, dass unsere Nachbarn – Dänen, Polen, Tschechen – uns in der Flüchtlingsfrage nicht helfen wollen, und sich dann fragen, weshalb sie ihnen dann helfen sollen. Wozu brauchen wir dieses Europa? Dann könnte in Deutschland erneut Nationalismus aufflammen und die Zustimmung für Populisten wachsen.
Derweil hatte ich in den vergangenen Wochen das fatale Gefühl, dass die Staaten Mittel- und Osteuropas eher auf Zeit spielten, anstatt darüber zu sprechen, wie man uns helfen könnte. Sie sagten „nein“ zu Flüchtlingen und testeten aus, wie weit sie sich mit dieser Haltung fortbewegen können. Das war traurig. Genauso wie ihr Beharren, keine Muslime aufzunehmen.
Sind Sie darüber erstaunt, dass Polen und Slowaken Angst vor dem Islam haben?
Nein, auch wir haben unsere Probleme mit Islamfeindlichkeit. Zu den PEGIDA-Märschen kamen tausende von Menschen. Es ist die Aufgabe von Politikern, diese Ängste zu entschärfen. Die Menschen haben Angst vor Extremisten, Terroristen, doch diese machen nur einen Bruchteil der muslimischen Gemeinschaft aus. Wir müssen lernen, mit Muslimen zusammenzuleben.
Aber selbst Deutschland ist die Integration nicht gelungen. Wie soll das dann in Polen gelingen?
Niemand sagt, dass es eine einfache Aufgabe ist. Doch Menschen, die aus Syrien oder Afghanistan nach Europa flüchten haben nicht die Erwartung, dass sie in Polen oder Deutschland eine luxuriöse Dreizimmerwohnung erhalten. Sie sind wie die Immigranten, die vor einhundert Jahren nach Europa kamen: Sie haben alles verloren und sind bereit, hart zu arbeiten um wieder auf die Beine zu kommen. Sie wollen die Sprache lernen, einen Platz in der neuen Gesellschaft finden und die Chance nutzen, die sie erhalten haben. Es ist wichtig, dieses Potential nicht ungenutzt zu lassen.
Von welchen deutschen Fehlern sollte Polen lernen?
Den ersten Fehler haben wir gleich zu Beginn gemacht. Als in den 1960er Jahren Migranten in die BRD kamen, nannten wir sie Gastarbeiter. Wir nahmen an, sie würden eine Zeit lang bei uns arbeiten, Geld verdienen und wieder heimkehren. Doch es stellte sich heraus, dass sie bei uns Wurzeln schlugen, ihre Familien zu sich holten und Kinder bekamen, die besser Deutsch sprachen als die Sprache ihrer Eltern. Uns hätte dies von Anfang an auffallen sollen, doch wir nannten sie jahrelang Gastarbeiter. Wir haben uns um die jungen Menschen zu wenig gekümmert. Die Kinder der Migranten sind oft konservativer als ihre Eltern. Viele von ihnen haben in Deutschland kaum Perspektiven, oft keine Ausbildung und keine gute Arbeit. Sie spüren, dass Deutschland sie nicht haben will. Daher halten sie zueinander, leben in geschlossenen Kreisen, wenden sich verstärkt der Religion zu, einige radikalisieren sich.
Ein anderes Thema ist die Sprache. Der Spracherwerb muss gleich nach Ankunft beginnen, die hinzugezogenen Menschen müssen die Sprache lernen. Wir sind nach Jahren zu der Schlussfolgerung gekommen, dass eben dies der Schlüssel zur Integration ist. Des Weiteren müssen die Flüchtlinge gleichmäßig auf das ganze Land verteilt werden, damit keine Ghettos innerhalb der Großstädte entstehen (obschon dies aus logistischen Gründen wesentlich einfacher wäre). Auf diese Weise können die Flüchtlinge sich in die lokalen Gemeinschaften integrieren, denn dort sind sie in der Minderheit. Eine einzelne syrische Familie stellt für eine Gemeinde keine Belastung dar, die Gemeinschaft kann sie dann leicht in das lokale Geschehen einbinden. Dies ist auch ein sehr wichtiger Faktor. In meiner Heimatstadt Düren beispielsweise laden Fußballvereine Flüchtlinge zum Training ein – der Sport hilft dabei, Barrieren zu überwinden und bringt die Menschen einander näher. Das funktioniert! Die Flüchtlinge sehen, dass sie nicht wie Invasoren behandelt werden und revanchieren sich.
Russland ist nun in Syrien militärisch aktiv. Fürchten Sie nicht, dass der Kreml uns erpressen wird, ganz nach dem Motto: Wenn ihr die Sanktionen aufhebt, werden wir helfen, den Bürgerkrieg zu beenden?
Es steht fest, dass ohne die Einbeziehung Russlands kein Frieden in Syrien möglich sein wird. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass Europa einem Deal „Frieden gegen Sanktionen“ zustimmt. Wir wissen, dass der Kreml sich die Hände reibt, da ein destabilisierter Naher Osten mit Problemen für Europa verbunden ist. Doch langfristig betrachtet wird der Krieg in Syrien negative Konsequenzen für Russland haben. Wenn Russland in Syrien helfen und gleichzeitig den Konflikt in der Ukraine gemäß der Vereinbarungen beenden wollte, dann könnte man selbstverständlich über ein Ende der Sanktionen nachdenken. Zwischen beiden Angelegenheiten besteht jedoch keine Verbindung.