Interview mit der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita

Dietmar Nietan MdB

1)Wie fassen Sie die Drohung Wladimir Putins auf, der in einem Gespräch mit Petro Poroschenko gesagt haben soll – wie die Süddeutsche Zeitung schreibt -, dass die russische Armee binnen zwei Wochen nicht nur vor Kiew, sondern auch vor Warschau und anderen Hauptstädten stehen könne?

Putin ist in seiner nationalistisch-imperialistischen Politik gefangen. Man muss seine Worte ernst nehmen, aber man darf auch nicht hysterisch darauf reagieren. Putin ist zu klug, um sich in einen Krieg mit dem freien Europa und der NATO zu stürzen.

2)Ist angesichts der russischen Aggression gegenüber der Ukraine die Zahl der „Russlandversteher“ in Deutschland geschrumpft?

Ja das ist sie! Immer mehr Menschen durchschauen die Propaganda des Kreml. Die Menschen in Deutschland sind entsetzt, dass ein russische Präsident im 21. Jahrhundert auf einen Neo-Imperialismus und dumpfen Nationalismus setzt.

3)Kein westeuropäisches Land hat in der Vergangenheit derart enge Beziehungen zu Wladimir Putin aufgebaut wie Deutschland. War das ein Fehler?

Deutschland baut keine Beziehungen zu Personen auf, sondern zu den Staaten und deren Völkern. Es ist absolut richtig gewesen, auf allen Ebenen intensive Beziehungen zu Russland und zum russischen Volk zu pflegen. Alle Russen, die mitbekommen haben, dass wir ihrem Volk offen und mit Sympathie begegnen, werden viel eher die Propaganda des Kremel hinterfragen, als diejenigen, die eine solche Erfahrung nicht gemacht haben. Wahrscheinlich ärgert sich Herr Putin darüber, dass viele Russen in den Deutschen eben nicht mehr den bösen Feind sehen.

4)Wie sollte Ihrer Meinung nach Deutschlands Politik gegenüber Russland gegenwärtig aussehen?

Die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenmister sind sich hier absolut einig: Wir dürfen keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass wir den Bruch des Völkerrechts und die Aggression der Russischen Föderation jemals akzeptieren werden und dabei auch notfalls weitere Maßnahmen gegen den Kreml unternehmen werden, wenn Russland seinen jetzigen Kurs nicht ändert.

5)Westliche Politiker betonen oftmals, dass von einer militärischen Lösung der Krise in der Ukraine keine Rede sein darf. Ist das nicht ein Eingeständnis der Niederlage?

Ich glaube nicht, dass die Weigerung von Präsident Obama, Waffen in die Ukraine zu liefern, ein Zeichen der Schwäche ist, sondern der Vernunft! Wir müssen alles unterlassen, was die Situation in der Ostukraine weiter eskalieren würde. Frau Bundeskanzlerin Merkel hat recht, wenn sie sagt, dass die Krise in der Ukraine nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden kann.

6)Sind Sie der Auffassung, dass die Ukraine in der Konfrontation mit Russland ganz auf sich alleine gestellt ist und auf keine nennenswerte Hilfe des Westens rechnen kann? Weshalb eigentlich?

Die EU und die Ukraine haben jetzt ein gemeinsames Assoziierungsabkommen. Die USA und die EU haben die Sanktionen gegenüber Russland verschärft. Darüber hinaus hat der Westen auch seine finanziellen Hilfen für die Ukraine weiter erhöht. Das alles nenne ich durchaus eine nennenswerte Hilfe. Ich glaube eher, dass sich die Menschen in der Ukraine mehr Anteilnahme an ihrem Schicksal auch in den Staaten wünschen, die ein wenig weiter entfernt liegen, als Polen oder die Baltischen Staaten.

7)Glauben Sie, dass Wladimir Putin völlig unberechenbar ist oder kann man die These wagen, dass seine Politik bestimmte Ziele im Hinblick auf den Westen verfolgt?

Dass der Westen nicht in der Lage ist, jeden nächsten Schritt von Wladimir Putin vorher zu sehen, heißt nicht dass der russische Präsident unberechenbar oder gar irrational handeln würde. Putin hat eine Agenda und jetzt testet er aus, wie weit er damit voran schreiten kann. Er hofft, dass er den Westen spalten kann. Deshalb sage ich auch, dass wir alle in der Pflicht stehen, alles dafür zu tun, die Einheit in der EU und in der NATO zu bewahren. Hinter verschlossenen Türen können wir miteinander streiten, aber nach außen müssen wir Geschlossenheit zeigen!

8)Teilen Sie die Meinung, dass es infolge der Ereignisse in der Ukraine zu einem neuen Kalten Krieg kommen könnte?

Wir haben schon jetzt eine Art Eiszeit, aber das würde ich nicht kalten Krieg nennen wollen. Man sollte keinen Krieg herbei reden – auch keinen kalten Krieg!

9)Sind die Wirtschaftssanktionen die einzige Waffe des Westens im Konflikt mit Russland?

Nein, wir dürfen uns nicht alleine auf die Wirtschaftssanktionen verlassen. Wir müssen viel mehr investieren, um die öffentliche Arena in Russland und in vielen EU-Staaten nicht einer antiwestlichen Pro-Putin Propaganda zu überlassen. Wir müssen immer wieder aufdecken, wie es in Wahrheit um Russland bestellt ist. Denn auf lange Sicht gesehen fügt der jetzige russische Präsident auch seinem eigenen Volk großen Schaden zu. Wir sind nicht Gegner des russischen Volkes sonder einer völkerrechtswidrigen Politik seines Präsidenten!

10)Was müsste Putin machen, um das Vertrauen des Westens zum Teil wiederzuerlangen? Ist dies überhaupt möglich?

Putin ist kein Verrückter, sondern ein kühl kalkulierender Stratege. Er weiß, dass er auf Dauer einen hohen Preis bezahlen wird, wenn er die Eskalation immer weiter voran treibt. Wir müssen hart bleiben ohne in eine aggressive Rhetorik zu verfallen. Wir wollen den Frieden! Und das müssen die Menschen in Russland spüren können. Wir dürfen Putin eben nicht den Gefallen tun und von uns aus die Tür zur Rückkehr an den Verhandlungstisch verschließen. Hindurch gehen durch diese Tür muss Präsident Putin allerdings selbst.