„Haben wir wirklich keine anderen Probleme?“

Dietmar Nietan MdB

von Joachim Zinsen

Herr Nietan, wenn Sie Peer Steinbrücks Start als SPD-Kanzlerkandidat mit einer Schulnote bewerten müssten, welche würden Sie ihm geben?

Nietan: Für die Bereitschaft zur Transparenz seiner Nebeneinkünften und für seine großartige Nominierungsrede auf dem SPD-Parteitag gebe ich ihm ein „Sehr gut“. Der Jahreswechsel war dann nicht so toll.

Nicht so toll? Steinbrücks Auftritt war deutlich suboptimal.

Nietan: Worüber reden wir eigentlich? Steinbrück hat in einem Interview eine sachlich unbestreitbar richtige Antwort auf eine Frage gegeben. Angesichts seiner Nebeneinkünfte und des schlechten Rufs von Politikern allgemein war das sicherlich nicht unbedingt geschickt. Dann gab es von Steinbrück noch ein paar flapsige Äußerungen zur Frage des Preises und der Qualität seiner bevorzugten Weine. Wenn das aber bereits reicht, um pausenlos darüber zu diskutieren, ob Steinbrück noch der richtige Kandidat ist, frage ich mich wirklich: Haben wir in Deutschland und Europa keine anderen Probleme?

Ist Steinbrück Opfer einer Medienkampagne?

Nietan: Ich beobachte in den Medien einen wachsenden Hang, sich in der Inszenierung eines vermeintlichen Trends gegenseitig zu überbieten. Das erinnert mich eher an Lemminge, als an Schwarm-Intelligenz. Die gleichen Journalisten, in der Vergangenheit die immer darauf bestanden haben, dass Steinbrück der einzig richtige Kanzlerkandidat für die SPD ist, weil er auch etwas von Wirtschaft und Unternehmen versteht, werfen ihm jetzt genau diese Eigenschaften vor.

Aber Fakt ist: Steinbrück wird nach der heftigen Diskussion über seine Nebeneinkünfte und nach seinen Äußerungen zum Kanzlergehalt inzwischen in Teilen der Öffentlichkeit als jemand wahrgenommen, der hinter dem Geld her ist wie der Teufel hinter der armen Seele.

Nietan: Wenn jemand trotz guter Arbeit am Ende des Monats noch beim Amt um Aufstockung bitten muss, weil er wegen eines fehlenden Mindestlohns miserabel bezahlt wird, dann muss er die Diskussion um die Höhe des Kanzlergehaltes als Hohn empfinden. Aber jeder, der Steinbrück kennt, weiß, dass er sich die Tortur einer Kanzlerkandidatur nicht antut, weil es ihm ums Geld geht. Ihm geht es um die bessere Zukunft unseres Landes. Das wirklich große Geld hätte Steinbrück längst in der Wirtschaft verdienen können.

Wie kann sich Steinbrück von seinem neuen Negativ-Image befreien?

Nietan: Steinbrück hat etwas ganz Entscheidendes auf dem SPD-Nominierungsparteitag gesagt. Nämlich: Wenn unsere Gesellschaft nicht riesige Probleme bekommen und die Risiken eines entfesselten globalen Kapitalismus meistern will, dann müssen wir vom „Ich“ wieder zum „Wir“ kommen. Steinbrück muss jetzt noch deutlicher machen, dass dies keine Floskel war, sondern auch für ihn selbst zu allererst gilt.

Herr Nietan, Sie als Mitglied des linken SPD-Flügels sind innerparteilich nicht unbedingt ein geborener Anhänger des eher „rechten“ Steinbrück. Was hat Sie mit dem Kandidaten versöhnt? Oder stehen Sie nur aus Parteisolidarität hinter Steinbrück?

Nietan: In den vergangenen drei Jahren haben Steinbrück und ich gemeinsam im Europaausschuss des Bundestags gesessen. Da kommt man auch mal ins persönliche Gespräch. Ich habe Steinbrück als einen nachdenklichen Menschen erlebt, der durchaus hart mit sich selbst ins Gericht gehen kann. Er würde auch unpopuläre Entscheidungen treffen, wenn sie zum Wohl des Landes notwendig sind. Steinbrück ist das dringend notwendige Gegenprogramm zu einer Kanzlerin, der oftmals Umfragen wichtiger sind, als verantwortungsvolles Handeln.

Steinbrück und die SPD wollen mit Sachthemen wieder in die Offensive kommen. Welche Themen sind das?

Nietan: Steinbrück kann Wirtschaft. Er will den Industriestandort Deutschland stärken und deshalb auch nicht jeden Unsinn bei der Energiewende mitmachen. Er will aber auch, dass die Lasten und die Zukunftschancen in unserem Land gerecht verteilt werden. Deshalb liegen ihm der Mindestlohn, eine solidarische Bürgerversicherung, bessere Aufstiegschancen für alle Kinder oder auch bezahlbare Mieten wirklich am Herzen. In all diesen Punkten haben CDU/CSU und FDP vier lange Jahre nichts auf die Reihe bekommen. Es geht also jetzt um die Alternative: Einlullen lassen von Mutti oder Anpacken mit Peer.