„Wir müssen unsere eigenen Potenziale stärker nutzen“

Eigentlich könnte die Politik im Kreis Düren mit Blick auf den kaum mehr zu stoppenden demografischen Wandel verhalten aufatmen. „Der Kreis wird von der Dynamik der Städte Bonn, Köln und auch Düsseldorf profitieren und hat damit zumindest eine befriedigende Ausgangslage“, ist Franz Müntefering überzeugt. Der frühere SPD-Bundesvorsitzende hat sich als Leiter der Arbeitsgemeinschaft „Demografischer Wandel“ in der SPD-Bundestagsfraktion intensiv mit der Problematik der kleiner, älter und bunter werdenden Gesellschaft in der Bundesrepublik auseinandergesetzt. „Die Wahrheit ist aber auch, der Kreis Düren wird 2040 älter sein“, betonte Müntefering.

Schon 2030 werde jeder dritte Bürger älter als 60 Jahre sein, hatte zuvor die stellvertretende Landrätin Liesel Koschorreck ausgeführt. „Und während Bonn und Köln noch mit einem zweistelligen Wachstum bis 2030 rechnen können, wird die Bevölkerung im Kreis um fünf Prozent schrumpfen.“ Das aber sei nur der Anfang der Fahnenstange und nicht weit genug gedacht, warnte Müntefering. Beim demografischen Wandel dürfe man nicht immer nur das Jahr 2030 in den Fokus nehmen: „Denn Kinder, die heute nicht geboren werden, haben morgen auch keine Kinder.“ Oder mit Zahlen belegt: „Von den 1970 geborenen haben heute 32 Prozent keine Kinder. Und sie werden auch mit 80 keine Kinder haben.“

Was aber tun, um den Bevölkerungsrückgang, vor allem die drohende Abwanderung in die großen Städte zu stoppen? Der 72-Jährige nahm vor rund 120 Zuhörern beim Zukunftsdialog der SPD- Bundestagsfraktion im Bürgerhaus Düren-Ost die Kommunen in die Pflicht. „Jede Stadt und Gemeinde muss gute Bildung und Erziehung der Kinder garantieren“, betonte Müntefering. „Sonst ziehen junge Paare weg.“ Nicht minder wichtig, unterstrich der Genosse, seien Arbeitsplätze, die in maximal 45 bis 60 Minuten Fahrzeit erreicht werden können. Fahrstrecken dieser Länge würden noch in Kauf genommen. Und die dritte Frage, der sich Lokalpolitiker laut Müntefering stellen müssten: Können die Bürger bei uns gut älter werden? „Ältere wollen mittendrin statt nur dabei sein“, erklärte Müntefering, mit einer möglichst hohen Lebensqualität.
Dass Städte und Gemeinden den Wandel und den Ausbau der Daseinsfürsorge vor Ort allein kaum gestalten können, steht für den Sauerländer außer Frage. „Der Bund muss ihnen die notwendigen Strukturen und finanziellen Mittel geben, um mit diesen Aufgaben fertig zu werden.“

Müntefering sprach aber auch andere Aspekte des demografischen Wandels an, zum Beispiel den Facharbeitermangel. Die Zahl der Erwerbspersonen im Alter von 20 bis 64 Jahren werde bis 2050 um mehr als 30 Prozent auf 35 Millionen sinken. Mit Zuwanderung alleine werde dieses Problem nicht in den Griff zu bekommen sein. „Wir müssen unsere eigene Potenziale nutzen“, denkt Müntefering vor allem an die Frauen, deren Chancen, ins Erwerbsleben zu kommen, verbessert werden müssen. Der Ausbau von Krippen-, Kita- und Ganztagsschulplätzen auch an Universitäten und am Arbeitsplatz sei aber nicht nur mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eminent wichtig, sondern auch mit Blick auf die soziale Kompetenz der Kinder. Es sei wichtig, dass den Kindern schon früh bewusst werde, dass alle Menschen gleich viel wert sind. Das Elterngeld der CSU sei daher reaktionär. Alle Kinder und Jugendlichen müssen gleiche Chancen erhalten, „und wenn nötig auch eine zweite“, unterstrich Müntefering, dass gleiche Chancen für beste Bildung der zentrale Schlüssel für gute Zukunftschancen der jungen Generation sind und gleichzeitig die Fachkräftebasis der Wirtschaft sichern.

Auf der anderen Seite müsse das Potenzial der Älteren, die alten- und behindertengerechte Wohnungen vor Ort benötigen, stärker genutzt werden. Müntefering denkt zum Beispiel an Patenschaften in der Ausbildung junger Leute.